121 mm

In meinem Garten steht ein Stein mit dem Titel „Interior 5“ von Lioba Abrell, als einzelner und unabhängiger Teil einer Serie. Ich sehe ihn jeden Tag, während der Jahreszeiten mit allen Veränderungen. Ein Findling aus dem Allgäu landete vor meiner Haustür in der Schwalm. Bearbeitet durch die Gletscher der Eiszeit schwer und rund – durchbrochen durch exakte Bohrungen mit 42 mm breiten Bohrlöchern rund um den ganzen Stein. Durch diese Bohrungen wurde der Findling innen hohl und es liegen auch noch Bohrkerne in seinem Innern.

Dieser künstlerische Eingriff macht aus dem schweren Stein, was Leichtes, Durchsichtiges und Schwebendes. Licht fällt durch und macht ihn durchscheinend. Aber auch die Erde erobert ihn und verändert ihn. Gras, Löwenzahn und Gänseblümchen wachsen durch die Löcher und durch den ganzen Stein, Kinder stecken Zweige und Blumen in den Stein.

Die Aufhebung und Änderung des Materiellen ist ein Prinzip in der Kunstausübung von Lioba Abrell. Ein zweites Prinzip ist die Reihung wie sie in ihrer Arbeit100 x durchgeführt hat. 100 x nimmt die Intention meines Steines auf. Kieselsteine aus der Iller in verschiedenen Größen sind wie der Findling Ergebnis der Natur. Die Iller -einst ein wilder Gebirgsfluss - hat aus den Steinen der Alpen die Illerkiesel geformt. Durch Einzelbohrungen wird die naturgeformte plastische Kraft der Kiesel gebrochen, durchbrochen, Licht und Luft fließen hinein und wieder heraus. Durch die Reihung dieser Steine in immer neuen Möglichkeiten gibt Lioba Abrell den einzelnen nun vereinzelten Steinen die Möglichkeit neu zu kommunizieren und mit der durchlässigen Energie zu neuem eigenem Sein zusammen zu wachsen.

In der nun verwirklichten Arbeit „121 Millimeter„ werden in Erolzheim 10 Findlinge in der gesamten Ortschaft verteilt. Die Steine werden jeweils mit zwei Bohrungen versehen, die in der Mitte des Steines aufeinander treffen. Die Bohrlochgröße wird 120 mm betragen. Durch die Positionierung der Steine und die Bohrungen entsteht ein Lichtstrahlennetz real und imaginär.

Die Steine - eigentlich leblos - können nun durch den künstlerischen Eingriff Kontakt aufnehmen. Und dadurch, dass der Besucher diese Kommunikation erkennen, begreifen und erlaufen kann, trägt das Kunstwerk auch zu Kommunikation der Besucher untereinander bei. Die Energie, die zwischen den Steinen an ihren Positionen im Ort, überträgt sich auch ganz direkt auf den Besucher, er muss laufen, er muss schauen und er darf und kann erkennen.

Dr. Anton Merk