Rede des Memminger Forstamtsleiters zur Eröffnung der Ausstellung "Bäume" in der Galerie Seidenlicht am 24. Juli 2023

Sehr geehrte Damen und Herren, lieber Herr Irtzing,

herzlichen Dank für die Einladung zu dieser interessanten Ausstellung. Ich möchte mich kurz vorstellen: Mein Name ist Stefan Honold und ich betreue die Stadt- und Stiftungswälder Memmingens, insgesamt bin ich für rund 1.560 ha Wald zuständig.

In der Ausstellungbeschreibung habe ich gelesen: „In früheren Zeiten war der Wald eine heilige Stätte, er war als Speicher für viele Ressourcen geschützt und gepflegt. Heute ist vieles davon in Vergessenheit geraten. Die großen Wälder der Erde werden in immer schnellerem Zugriff vernichtet.“

Sehr romantisch dargestellt! War das wirklich immer so? Und warum hat die Forstwirtschaft dann den Begriff der Nachhaltigkeit vor über 300 Jahren geprägt?

Reisen wir zunächst beispielhaft nach Afrika, genauer gesagt nach Äthopien. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Äthopien zu 40 % mit Wald bedeckt, von denen heute noch 5% übrig sind. Die Bevölkerung ist in den letzten 100 Jahren explodiert und so wurde der Rodungsdruck auf den Wald immer größer, um Platz für den Anbau von Nahrungsmitteln zu schaffen. Die Menschen kämpften ums Überleben, an die Bewahrung der Schöpfung dachten nur wenige.

Was glauben Sie wie die heutige Rodungsbilanz in Deutschland ausfällt? Wächst in Deutschland die Waldfläche oder wird sie weniger?

Tatsächlich wächst die Nettowaldfläche im Schnitt jährlich um 176 Quadratkilometer, das sind 17.600 ha oder rund 14-mal die Größe unseres Stadtwaldes.

Man sollte also meinen, wir wissen heute was wir an unserem Wald haben, denn eine wachsende Nettowaldfläche bedeutet, dass wenn man alle Rodungen aufgrund von Straßenbau, Ausweisung von Bau- und Gewerbegebieten, etc., von den Aufforstungen abzieht, eine positive Bilanz übrigbleibt. Doch hierzu muss man auch wissen, dass die meisten Aufforstungen gar nicht aktiv gepflanzt werden, sondern häufig sind es schwer zu bewirtschaftende landwirtschaftliche Flächen, die aufgegeben werden und zu Brachen werden, sich dann Bäume ansiedeln und somit zu Gehölzflächen und irgendwann zu Wald werden. Und leider darf man auch nicht verschweigen, dass die Waldflächenbilanz in der Nähe von Ballungsräumen und Großstädten stark negativ ist, während sie in dünn besiedelten, oft wirtschaftsschwachen Regionen dementsprechend positiver ausfällt, sodass am Ende die Gesamtbilanz positiv ist. Dabei würden gerade Großstädte von Waldflächen in ihrer Nähe sehr profitieren.

Doch machen Sie mit mir nochmal eine kleine Reise und zwar in die Vergangenheit und gehen rund 1500 Jahre zurück. Deutschland, damals noch sehr dünn, mit rund 1.000.000 Menschen besiedelt, war noch fast komplett mit Wald bedeckt. Was glauben Sie, war damals die häufigste Baumart in Deutschland?

In 80 % der deutschen Wälder wuchsen Buchen. Deutschland war also ein Buchenland. Keine Angst, es gab auch alle anderen Bäume, die Sie so kennen aber eben nur dort, wo sie sich gegen die Buche durchsetzen konnten. Wenn Sie beispielsweise damals in einem Fichtenwald spazieren gehen wollten, mussten Sie schon in die Alpen oder die Hochlagen der Mittelgebirge reisen; Eichen fanden Sie auf sandig-trockenen Böden, Eschen auf feuchten Standorten, usw. Im Memminger Stadtwald – also Memmingen war damals noch keine Stadt, sondern höchstens eine winzige alemannische Siedlung, wuchsen neben den Buchen hauptsächlich Tannen, Ahorne, Eschen und Eichen. Einige unserer alten Waldflurnamen erinnern noch an diese Zeit: Buchengehau, Buchbrunnen, Eichwald, Weidenbühl oder Aspengehau.

Die Hauptbesiedelungswelle begann im 7. Jahrhundert, bis ins späte Mittelalter hinein. Und was brauchte man so zum Siedeln? Platz, Baumaterial und Brennstoff. Alle drei Dinge hatten mit Wald zu tun. Die Siedler rodeten also Wald, um ihre Häuser bauen zu können und legten Ackerflächen an, denn um langfristig sesshaft werden zu können brauchten sie Nahrungsmittel. Sie bauten damals ausschließlich aus Holz und Holz war auch viele Jahrhunderte lang einziger Energiestoff zum Heizen. Ebenso brauchte man zur Herstellung von Eisen oder Holzkohle Unmengen an Holz.

Um 1350 n. Chr. war weniger als ein Drittel Deutschlands mit Wald bedeckt und das heutige Landschaftsbild war in seinen Grundzügen entstanden.

Die verbliebenen Wälder wurden zunehmend durch große Kahlschläge, Streunutzung und Köhlerei ausgebeutet. Zusätzlich verhinderten die Beweidung der Wälder durch Rinder, Schafe, Ziegen und Schweine und zum Teil sehr hohe Wildstände eine natürliche Waldverjüngung. Durch diesen jahrhundertelangen Raubbau waren die Wälder um 1600 stark verlichtet und mit vielen baumfreien Flächen (= Kahlflächen) durchsetzt. Auch im Hoheitsgebiet der Stadt Memmingen waren damals infolge rücksichtsloser großflächiger Abholzungen umfangreiche Ödungen entstanden. Diese sich bedrohlich abzeichnende generelle Holznot veranlasste einige Landesherren die Nutzung der Forsten zu regeln. Die Geburtsstunde der geregelten Forstwirtschaft. Hier möchte ich drei bedeutende Personen beim Namen nennen, zwei davon aus Memmingen.

Noe Meurer, ein gebürtiger Memminger, der Bücher zu geordneter Waldpflege schrieb und dessen Bücher bis ins 18. Jahrhundert weit verbreitet waren.

Michael Schwegelin, war von 1540 bis 1583 Hofmeister des Unterhospitals in Memmingen und für die damals sehr großen Stiftungswälder verantwortlich. Er stellte klare Regeln für die Bewirtschaftung der Wälder auf, die Raubbau am Wald verhindern sollten.

Und zuguterletzt schrieb ein Sachse mit Namen Carl von Carlowitz im Jahr 1713 einen forstlichen Bestseller: Sylvicultura Oeconomica hieß das Buch und Herr Carlowitz wurde zum Begründer der Nachhaltigkeit. Ein Begriff, der heute von den verschiedensten Bereichen, ja fast schon mißbraucht wird, sei es unsere Ernährung, Lebensweise, Klima, Geldanlage, alles redet von Nachhaltigkeit.

Ab diesem Zeitpunkt stellten immer mehr Forstbetriebe, Kirchen, Städte und Großwaldbesitzer auf eine nachhaltige Waldbewirtschaftung um, das heißt, sie schlugen nicht mehr Holz als nachwuchs. Dieses Gesetz wird in der Forstwirtschaft bis zum heutigen Tag in Deutschland hochgehalten und wir Förster saugen es während unseres Studiums wie mit der Muttermilch in uns auf.

Der Beginn der geregelten Forstwirtschaft war nur leider auch der Beginn der Fichtenwirtschaft. So fand die Fichte als schnellwachsender Nadelbaum, der wenig Platz benötigt und gutes Bauholz liefert, ihren Weg ins ganze Land. Sie wurde sogar dort angepflanzt, wo sie mit ihrer flachen Wurzel gar keinen Halt fand. Und wo es sogar für die Fichte zu trocken und sandig war, forstete man mit Kiefern auf. Laubholz fand immer weniger Beachtung.

Der Brotbaum Fichte, wie man sie auch nannte, wird leider immer mehr zum Katastrophenbaum. Als flachwurzelnde Baumart haben ihr immer wieder heftige Stürme hart zugesetzt. Mir fallen spontan einige ein, denken Sie an Wibke 1990, Lothar 1999, Kiryll 2007, Niklas 2015 oder Sabine 2020. Die Stadt Memmingen hat vor allem bei Wibke und Lothar große Schäden zu verzeichnen gehabt. Daraufhin folgten meist Borkenkäferjahre, die den Fichten wiederrum schwer zusetzten.

Die Veränderung des Klimas mit immer trockeneren Sommern und extremeren Wetterlagen geben ihr nun den Rest. So mussten allein in den letzten Jahren in Deutschland hunderte Mio fm Schadholz aufgrund von Borkenkäferfraß und sonstigen Trockenschäden geschlagen werden. Dies führte zu 400.000 ha Kahlflächen, dies entspricht 500.000 Fußballfelder. Man spricht zurecht vom Waldsterben 2.0.

Unsere Zukunftsstrategie kann nur heißen: Waldumbau. Wir müssen unsere Wälder klimastabil bekommen. Wir müssen das hohe Risiko der Fichte auf mehrere Baumarten verteilen. Fällt dann eine Baumart aus, wie z.B. die Fichte oder auch die Esche, dann bleibt den Waldbesitzern trotzdem noch ein Portfolio aus anderen Baumarten und der Wald bleibt erhalten. Die vielen Kahlflächen, die in Deutschland entstanden sind, müssen möglichst schnell wieder in Bestockung gebracht werden, d.h. die Waldbesitzer brauchen schnell finanzielle Hilfen von Bund und Ländern, um die Freiflächen wieder zu bepflanzen. Vor allem Mischbaumarten müssen hier stärker gefördert werden, um deren Attraktivität zu steigern.

Meine Damen und Herren, sie sehen, was heute in Afrika und in vielen anderen Ländern ein Problem ist, war in Deutschland und in Europa nichts Anderes – nur ein paar Jahrhunderte früher. Die Wälder waren im Spätmittelalter am Ende, ausgebeutet, gerodet und devastiert. Die Menschen haben daraus gelernt und eine geregelte Forstwirtschaft geschaffen, die sich um die Wälder kümmert, die nachhaltig und naturnah wirtschaftet und alles tut, um einen stabilen, vitalen und ertragreichen Wald zu erhalten, denn Wald ist überlebenswichtig für uns Menschen.

Er produziert Sauerstoff und entnimmt der Atmosphäre im Zuge der Photosynthese das klimaschädliche Kohlendioxid oder auch CO2 genannt. Dieses CO2 speichert er in Form von Kohlenstoff im Holz. Wenn wir dieses Holz nun verbauen in Form von Häusern, Dachstühlen, Möbeln oder anderen Holzprodukten, dann wird dieses CO2 der Atmosphäre langfristig entzogen. Und selbst, wenn wir es verbrennen herrscht immer noch CO2-Neutralität. Was kann Wald noch?

Wald liefert bestes Trinkwasser, reinigt und kühlt die Luft, bietet uns Schutz vor Lawinen und Erosion, ist Heimat vieler Tiere und Pflanzen…. Und ist zudem ein wunderbarer Arbeitsplatz, neben mir verdienen noch fast 196.000 Menschen in Bayern ihr Geld in der Forst- und Holzwirtschaft.

Und zuguterletzt ist er Raum für uns Menschen, uns zu erholen. Wissenschaftlich ist belegt, dass allein schon der Blick auf Bäume und Wald das Wohlbefinden erhöht und den Puls und Blutdruck senkt. Stress lässt nach und wir erholen uns. Meine Damen und Herren, ich lade Sie ein, besuchen Sie den Wald am liebsten natürlich den Städtischen Wald, genießen Sie die Ruhe dort. Und wenn doch einer meiner Mitarbeiter die Stille mit seiner Motorsäge stört, ja mei, dann gehen Sie halt einen anderen Weg oder kommen am Wochenende wieder.

Ich bedanke mich fürs Zuhören und wünsche der Ausstellung viele Besucherinnen und Besucher und Ihnen alles Gute.