Skulptura 2018

Kunst wirkt und heilt

Magische Momente und sinnliche Erfahrungen in Buxheim

Wer die langgestreckten Flure des Buxheimer Kreuzgangs betritt, wird sofort von der Aura dieses abgeschiedenen Ortes eingenommen.

Möglicherweise ist es gerade die einnehmende Stille dieses magischen Ortes, die einen Künstler bewegt, seine Werke für die „Skulptura“, die einzige Ausstellung ihrer Art in Schwaben, einzureichen.

Kunstwerke für Ausstellungen bereitzustellen ist bekanntlich immer mit einem organisatorischen Kraftakt verbunden. Umso mehr gilt das für dreidimensional arbeitende Bildschaffende, die oft weite Wege auf sich nehmen müssen, um dabei sein zu können, wenn Bildhauer der beiden schwäbischen Regionalverbände - wie hier in der Kartause Buxheim - sich zur Präsentation ihrer Werke zusammenfinden.

Die alleinige Aussicht auf finanziellen Gewinn kann es nicht sein, denn Ankäufe werden leider immer seltener und – ebenfalls leider - sind wir in Bayern immer noch nicht so weit, dass die auslobenden Gemeinden den beteiligten Kreativen wenigstens eine angemessene Aufwandsentschädigung anbieten, wie das beispielsweise bei Musikerauftritten üblich ist.

Was bringt es also für den Kunstschaffenden selbst, dass er sich zu einem derartigen Kraftakt bewegen lässt? - Nicht zuletzt der Glaube daran, mit seiner Arbeit etwas bewirken, etwas sichtbar machen zu können, was vorher so nicht offensichtlich war. In Buxheim mag es auch der scheinbar paradoxe Umstand sein, dass gerade die stille Verborgenheit der Kartause eine Atmosphäre erzeugt, die die Wirkungskräfte von Bildwerken noch verstärkt.

In den schier endlosen Gängen erscheinen die weit verstreuten 34 Werke der 13 Künstlerinnen und Künstler nicht verloren, sondern sie verbinden sich wie Energiepunkte zu einer Kette aus fein austarierten Akzenten. Alle Arbeiten sind so zu einem sinnlichen Gesamtgenuss verbunden, die – auch einzeln betrachtet -

Erfahrungen und Erkenntnisse auslösen, weit über den sinnlichen Reiz hinausgehend.

Kunst ist vor allem dann wertvoll und wirksam, wenn sie am aktuellen Leben teilnimmt. - Diese Aussage, trifft in besonderer Weise auf das Werk der diesjährigen Preisträgerin Lioba Abrell zu.

Auch 2018 stellte die Gemeinde Buxheim einen kleinen Kunstpreis zur Verfügung. Die fünfköpfige Jury, bestehend aus zwei Vertretern der Gemeinde und drei Vertretern des Berufsverbandes, votierte mehrheitlich für eine Arbeit, die die Künstlerin Lioba Abrell eingereicht hatte.

Für das Verständnis dieser Arbeit ist ein Blick in Frau Abrells Vita aufschlussreich:

Die in Eichenberg geborene Künstlerin hatte zunächst Medizin studiert, bevor sie sich zur Steinbildhauerin ausbilden ließ. Ein Kunststudium in Kassel schloss sich an, wo sie Meisterschülerin bei Dorthee von Winheim wurde.

Man liest von einer beeindruckenden Zahl von Ausstellungen im In- und Ausland. Mit bemerkenswert vielen Kunstwerken ist Lioba im öffentlichen Raum vertreten.

Vornehmlich bei ihrem jüngsten Kunst-Projekt, das sie für ihre Heimat-Gemeinde gestaltete, ist zu erkennen, wie sehr sie Kunst als ein Mitwirken am gesellschaftlichen Leben begreift. Nur wenn man mehr Facetten von Liobas künstlerischem Schaffens kennt, erschließt sich dessen Reichweite.

Immer wieder tauchen in ihren Werken Assoziationen zu Begriffen des organischen Lebens auf, die aus dem Vokabular der Körperfunktionen entlehnt sind. Die Tatsache, dass sie sich zu Beginn ihres Studiums mit Medizin befasst hat, erklärt vieles und führt zum Verständnis ihres Ansatzes, der wohl darin besteht, dass Lioba Kunst auch als Heilmittel versteht.

Bei der prämierten Arbeit mit dem Titel „System“ handelt es sich um acht abgeflammte Eschen- und Eibenstämme von ca. 4m Länge, die aus Krankheitsgründen gefällt werden mussten und deswegen auf dem Brennholzstapel gelandet waren. Acht von Ihnen durften zu Kunstwerken werden, zu modernen, viel zu dünnen Obelisken.

„Obelisken waren im alten Ägypten die Verbindung zwischen der irdischen Welt und der Götterwelt. Sie spiegelten die Macht des Sonnengottes Re wider, des Herrn der Weltordnung, Hüter des Rechts und des Lebens. Begleitet wird Re von seiner Tochter Maat, der Göttin der guten Ordnung, Gerechtigkeit und Wahrheit. Das Werk „System“ ist eine aktuelle Bestandsaufnahme dessen, was aus unseren Werten geworden ist. Die einzelnen Skulpturen sind Wächter und Mahner. Nicht mehr kraftvoll, aufrecht und stabil, sondern viel zu dünn, fragil, krumm und schief gewachsen. Sie treten in Beziehung zueinander, wenden sich einander zu oder voneinander ab“.

Die Stämme sind mit der Motorsäge geformt - deren Spuren sind noch sichtbar - und mit der Gasflasche abgeflammt. „Jeder, der sie anfasst, bekommt schwarze, rußige Finger, die Berührung wird gewollt oder ungewollt sichtbar.“ (Lioba Abrell)

Die Arbeit der Künstlerin zeigt hohes handwerkliches Können und feinsinniges Vermögen, sich mit dem schwierigen Material adäquat auseinanderzusetzen, das sie wie Ritualrequisiten arrangiert. So wie sie mit den Obelisken einen Krankheitszustand sichtbar macht, werden ihre Kunstwerke gleichsam zu Rezepturen gegen Fäulnis. Diese Herangehensweise erinnert damit auch an die Tätigkeit einer Heilerin.

Frau Abrells beschwörenden Arbeiten gehen weit über rein ästhetische Formfragen hinaus.

Ein herzliches Dankeschön geht an alle Ausstellenden, an die Mitglieder der Jury, die Helfer beim Aufbau, die Hänge- und Gruppierungskommission, die Aufsichten und an alle, die zum Gelingen dieser Veranstaltung beigetragen haben. Ein besonderer Dank gilt Matthias Buchenberg, der mit seinem Team wieder eine sehenswerte Schau gruppiert und zusammengestellt hat.

Die beteiligten Künstlerinnen und Künstler:

Lioba Abrell, Jürgen Bartenschlager, Matthias Buchenberg, Hermann Hammerl, Wolfgang Kessler, Rita Maria Mayer, Irmgard Mrusek, Jürgen Krass, Christine Reiter, Josef Wehrle, Elke Wieland, Peter Zeiler, Benedikt Zint.

Gerhard Menger