Lumen 10 - 30 Meter

»Erst durch Grenzen wird meine Skulptur sichtbar«
Material: Eine 30 m hohe einheimische Fichte
Zersägt und ausgehöhlt in 25-0,7 cm lange Teile mit einem sich verjüngendenden Durchmesser von 55-1 cm.
Die Bildhauerin Lioba Abrell bevorzugt Naturmaterialien. Ihre Skulpturen sind Hüllen aus Holz und Stein. Sie höhlt in einem langen und behutsamen Prozess das Material bis zur Grenze der Belastbarkeit aus, es bleiben nur die Ränder stehen.
Für ihre Examensarbeit will sie einen Baum, eine Fichte mit Schädlingsbefall, in Teile sägen und aushöhlen. Während ihrer Arbeit bröckelt Rinde ab, manchmal bricht das ausgehöhlte Material auf, ein Spalt bildet sich, die stabile Umrundung ist durchbrochen.
Die Skulpturen werden der Länge nach auf den Boden gestellt. Die Installation zur Ausstellung »Examen 08« in der Documentahalle wird aus ca. 40 m ausgehöhlten, aneinander gereihten Baumstämmen bestehen.
Die Gestalt der Fichte wird umgewandelt, obwohl sich ihre Grundform nicht wesentlich verändert. Das Neue ist der sichtbar gemachte Innenraum des Stammes umgeben von seiner Außenschicht. Mit der Zeit wird immer mehr Rinde abbröckeln, dann können sich Zeichnungen des Käferfraßes zeigen. Vielleicht gibt es Risse in der Umgrenzung. Naturmaterialen verändern sich, Verfall als natürlicher Prozess.
Zunächst für den Betrachter eine archaische Erfahrung -- Leben, Arbeiten und Sterben in der Verbindung mit dem Baum ist uns zutiefst präsent. Unzählig die Arbeiten aus Holz, die unser Leben begleiten (um nur einige zu erwähnen: Wiege, Möbel, Sarg, in jüngster Vergangenheit noch die Totenbretter im ländlichen Bereich ....)
Lioba Abrell hat sich eine immense Aufgabe gestellt. Die Arbeit erfordert handwerkliches Können, Disziplin, körperliche Leistung, Auseinandersetzung mit dem Material, aber auch mit ihren Vorstellungen von Innenraum und Grenze, Tod und Leben.
Die Arbeit gehört in einen Zyklus, der »Lumina« genannt wird.
Lumen ist lateinisch und bedeutet »Licht«, »Fenster«.Es ist die Maßeinheit für den Lichtstrom, der auf eine bestimmte Projektionsfläche auftrifft. Dabei wird die Lichtleistung gemessen, die sich auf eine Flächeneinheit bezieht und in Lux angegeben wird.
In der Biologie ist »Lumen« die Bezeichnung für die innere oder -- wörtlich übersetzt -- lichte Weite des Innenraums von Hohlorganen im Gegensatz zum Raum auf deren Außenseite. Ein Lumen findet sich beispielsweise im Inneren des Darms, der Blutgefäße und des Magens von Säugetieren oder des Tracheensystems sowie des Darms von Insekten. Bei Pflanzen bezeichnet Lumen den Hohlraum einer Leitzelle. Aus dem Lumen des Neuralrohrs entwickeln sich beim Menschen und den Säugetieren das Ventrikelsystem des Gehirns und der Zentralkanal des Rückenmarks.
Liegen die ausgehöhlten Holzteile aneinander, fließt Licht durch den Hohlraum, von beiden Seiten ist der Innenraum des Baumes zu schauen. Die einzelnen Holzskulpturen werden aber auf den Boden gestellt, es entsteht Raum umgeben von einer Grenze.
Ein leerer Raum kann bedrohlich sein, aber auch Raum schaffen für die Fülle, die es zu entdecken gibt. Doch kein Raum ohne Grenzen. Übertragen auf das menschliche Leben: Raum zwischen Geburt und Tod.
Für den Betrachter ist die Freude bei ihrem Tun spürbar. Man ist gespannt auf ihren weiteren künstlerischen Weg.

Autorin: Anna Brenner